Jugendlicher Leicht-Sinn
Benjamin Lebert  
 Crazy

Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999. 178 Seiten. 14,90 Mark

Eine Rezension von Michael Messer
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Jetzt ist also auch die Literaturkritik dem Jugendwahn verfallen. Galten in den letzten Jahren noch Benjamin von Stuckrad-Barre, Judith Hermann oder Alexa Hennig von Lange, alle immerhin schon über 20 Jahre alt, als jung, so darf in diesem Jahr ein erst 17jähriger als die größte literarische Neuentdeckung herhalten. Elke Heidenreich hat seinen Roman im Spiegel noch vor Ablauf der Sperrfrist dermaßen hochgelobt, daß dem Verlag und dem Rest der Kritiker gar nichts anderes mehr übrig blieb, als mitzuspielen. Die Sperrfrist wurde aufgehoben, der Veröffentlichungstermin vorgezogen und die Kritik überschlägt sich fast vor Lob!

Aber warum? Was ist dran an diesem Buch?

Benjamin Lebert hat seine eigene Geschichte geschrieben: Ein 16jähriger, halbseitig gelämter Junge mit Schulproblemen wird von seinen Eltern in einem Internat abgeliefert, lernt sehr schnell neue Freunde kennen, steigt schon in der zweiten Nacht mit seinen Kumpels bei den Mädchen ein, hat zum ersten Mal Sex und bricht schließlich, wieder mit fünf seiner "Leidensgenossen", aus dem Internat aus, um einen Abend in einem Münchner Striptease-Lokal zu erleben.

Das ist die Handlung. Ganz normale Jugendliche halt, die ganz normale Probleme haben und sich für Jugendliche in ihrem Alter ganz normal verhalten. Es wird viel geraucht, Bier und andere alkoholische Getränke getrunken, über Mädchen, Titten und Sex geredet und über den Sinn des Lebens nachgedacht. Sie sind sich nicht klar darüber, ob sie froh sein sollen, über das Leben, das noch vor ihnen liegt und die Dinge, die sie noch tun und erleben können, oder sich ärgern sollen über das, was sie in ihrem Internatsleben und in ihrem Alter alles noch nicht tun dürfen. Deshalb ändern die Figuren oft ihre Meinungen und reden dann anders als noch wenige Seiten zuvor. Die ganz normale Zerrissenheit zwischen noch Kind sein und schon erwachsen sein wollen, die alle Jugendlichen schon kennen und die in unzähligen Jugendromanen schon beschrieben worden sind. So what?

Der Inhalt allein ist es also nicht. Vielleicht ist an der Sprache und dem Stil des Romans etwas dran. Lebert liebt die Parataxe, nur selten benutzt er einen Nebensatz. Das liest sich leicht und strengt nicht besonders an, so soll die Sprache der Jugendlichen von heute sein. Dazwischen legt er jedoch seiner Hauptfigur Benjamin und dessen Internatsfreunden Sätze in den Mund, die einen staunen lassen: "'Aber müßten wir dann nicht alle tierische Angst vor dem Leben haben?' erkundigt sich Felix. 'Haben wir doch auch', antwortet Janosch. 'Jeder Schritt ist schwierig.'" oder "'Muß man denn etwas Altes hinterlassen, um etwas Neues zu bekommen?' 'Ich schätze schon', antwortete der Alte. 'So bleibt alles in Bewegung.'"

Natürlich sind Sätze wie diese im Roman eines 16jährigen ungewöhnlich, weil wir davon ausgehen, daß man sich in diesem Alter noch nicht solche Gedanken macht. Darin liegt die Schwäche des Romans. So nämlich spricht die Jugend dann nun doch nicht. Gelesen und gehört hat man das alles schon einmal, das klingt nach Kalendersprüchen und nicht nach der großen Lebensphilosophie der heutigen Jugend.

Viel ist über diesen Roman schon geschrieben worden. Die Meinungen reichen von totaler Verehrung bis zu vollkommener Abneigung. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen diesen Extremen. Das Buch ist nicht der Knüller. Lebert muß noch dazulernen, aber es ist auch nicht so wertlos, daß es komplett verrissen werden muß.

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© Michael Messer, RezenSöhnchen 24 (Juli 1999) & forum-buchkritik